Wilhelmine glaubte an den
Weihnachtsmann, ganz fest, und sie war schon 8 Jahre alt. Sie wollte
einfach nicht wahr haben, dass es ihn nicht geben soll.
Immer wieder wurde das Mädchen in
ihrer Klasse damit aufgezogen, denn außer ihr glaubte keiner mehr an
das Märchen vom Weihnachtsmann. Aber tapfer verteidigte Mine, wie
sie von allen genannt wurde, den Rauschebart im roten Mantel. Es
brachte ihr nur noch mehr Spott ein. Trotzig hielt sie sich dann
einfach die Ohren zu. Ihre Argumente, die für den Weihnachtsmann
sprachen, wollte keiner mehr hören. Für die anderen war dieses
Thema schon lange erledigt. Lediglich einen mitleidigen Blick erhielt
die Kleine gelegentlich. Doch wie das halt so ist, wenn alle anderen
nicht deiner Meinung sind, beginnt der Zweifel sich leise in deinem
Kopfe auszubreiten. So beschlich er auch Wilhelmine.
Zu Hause setzte sie sich in ihren
Lieblingssessel und blickte verträumt auf den mit vielen
Überraschungen gefüllten Kalender, der ihr die Tage bis zum
Weihnachtsfest verkürzen sollte. Er zeigte das Bild eines
Weihnachtsmannes, der durch den Schnee stapfte und dabei einen Stapel
Wunschzettel las, den er in den Händen hielt. Da erinnerte sich das
Kind, wie es im vergangenen Jahr erstmals am Weihnachtsmann zu
zweifeln begann. Warum, war Mine entfallen. Aber dass sie ihre Mama
befragte, das wusste sie noch. Mit einem schelmischen Lächeln
versehen, kam darauf aus Mamas Mund nur ein „Ach Minchen!“. Die
Mama wollte das Geheimnis noch nicht lüften, denn sie kannte die
grenzenlose Neugier ihrer Tochter. Wüsste das Kind, dass die
Geschenke von den Eltern sind, wäre keine noch so verborgene Ecke im
Hause davor sicher, dass ihr liebes Minchen sie nicht ausspioniert
hätte. So erinnerte die Mama nur an den Wunschzettel. „Du hast ihn
an den Weihnachtsmann persönlich abgeschickt. Was darin stand,
wusste also nur er. So konnte auch nur er deine Wünsche kennen.
Stimmts?!“
Das lag nun ein Jahr zurück. Doch
auch jetzt noch lebte Mine gern in ihrer Traumwelt der Märchen und
Phantasiegeschichten und dazu gehörte auch der Weihnachtsmann. Als
die kleine Traumsuse aber an ihre Klassenkameraden dachte, nagten
wieder leise ein paar Zweifel. Um die Grübelei zu vertreiben, zog
das Mädchen sich ihre warmen Sachen an, um nach draußen zu gehen.
Der Wind würde schon die Zweifel wegblasen.
Am Steg, der in einen zugefrorenen
Teich führte, traf sie Hans, der einen Piratenhut auf dem Kopf trug.
„Na, willst du übers Meer, um fette Beute zu machen?“ scherzte
sie. Der Siebenjährige lachte nur und verriet Mine mit leuchtenden
Augen, dass heute der Lichterbaum aufgestellt wird. Da geht immer alles
drunter und drüber, denn am späten Nachmittag kommen ein paar
Freunde in Piratenkleidung. Gemeinsam wird das erste Pastat gefeiert.
„Du meinst wohl eher den Weihnachtsbaum?“ verbesserte die
Weihnachtsexpertin. Hans nahm Mine einfach an die Hand und steuerte
mit ihr auf sein Haus zu: „Meine Eltern dürften inzwischen den
Baum aufgestellt haben. Komm mit und sieh selbst.“ Die Neugier war
geschürt und bald standen die Kinder im Wohnzimmer der Familie von
Hans.
Mine schaute mit großen Augen auf ein
leuchtendes Etwas, was eher dem Oberteil eines Segelschiffes glich.
Es waren Masten zu sehen, Segel, Netze und ganz viele Kerzen. „Das
ist wunderschön aber doch nie im Leben ein Baum!“ platzte sie
heraus. Hans führte seine kleine Nachbarin in sein Zimmer und nahm
ein dickes Buch aus dem Regal. Er schlug die Seite mit dem
Lesezeichen auf und Mine blickte auf ein stattliches Segelschiff mit
all den Masten und der Takelage. Hans wusste genau, wie jeder Mast
bezeichnet wird und erklärte froh drauf los, dass Mine kaum folgen
konnte. So sagte sie nur: “Ah, dass ist also euer Baum!“ „Tja,
so bringen wir Licht in die dunkle Jahreszeit. Dein Weihnachten ist
mein Nudliges Lichterfest.“ Wilhelmine verschlug es die Sprache.
Das nutzte Hans, um ihr vom Pastat, dem Nudligen Lichterfest und
letztlich auch vom Lichterpiraten zu erzählen.
Langsam klangen immer mehr laute
Stimmen aus der Wohnung in das Kinderzimmer. Die Gäste trudelten ein
und ständig hörten die Kinder ein fröhliches Arrrgh. „Piraten
können nicht anders.“ kommentierte Hans das Gehörte.
Für Mine wurde es langsam Zeit, nach
Hause zu gehen. Sie wäre zwar gern noch in der fröhlichen Runde
geblieben, aber es wurde langsam dunkel. Zum Abschied riefen die
Erwachsenen lachend nach: „Gib auf den Wein acht!“ „Hatten die
schon zu viel Grog?“ wunderte sich das Mädchen. All die neuen
Eindrücke schwirrten wie Motten in ihrem Kopf herum. So machte sich
ein sehr nachdenkliches Kind auf den Heimweg.
An diesem Abend hatten Mines Eltern
eine sehr ruhige Tochter, die schnell im Bett verschwand. Im Traum
begegnete ihr der Lichterpirat, der immer wieder sagte, dass man an
allem zweifeln soll, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen, ihr aber
auch wunderschöne Geschenke mitbrachte.
Als Tage später in der
Unterrichtspause wieder einmal das Thema „Weihnachtsmann“ ins
Spiel kam, hörte man von der einzigen Verteidigerin des bärtigen
Alten keinen Mux. Die anderen Kinder guckten verwundert, weil sie die
üblichen Erklärungen erwarteten. Aber Wilhelmine blieb stumm. „Na,
hast du deinen Glauben aufgegeben?“ platzte es aus ihrer
Banknachbarin heraus. „Na ja, ich habe endlich nachgedacht und
würde inzwischen lieber das Nudlige Lichterfest feiern, wie es die
Familie von Hans aus der ersten Klasse tut. Ihm bringt der
Lichterpirat die Geschenke. Lichterpirat ist jemand aus der Familie.
Er kommt mit den Geschenken und in Piratenkleidung, wie es der Name
schon sagt. Bei Hans übernimmt das meistens ein Onkel, der eh schon
wie ein alter Seebär ausschaut. Der Lichterpirat darf die Geschenke
an Groß und Klein verteilen und auch so manchen Schabernack mit
ihnen treiben. Er kann sich so richtig als Pirat austoben.. Dann
legt er den viel zu warmen Piratenmantel ab und ist wieder der Opa,
die Tante oder Freund der Familie. Das bringt viel Spaß, sagt Hans.
So würde ich gern auch feiern. Hört sich lustig an.“
Am 24. Dezember klopfte es abends laut
an der Tür. Wilhelmine wusste, dass das nur einer sein konnte. Der
Papa öffnete die Tür und schon stand der bärtige Mann im roten
Mantel mitten im Wohnzimmer, stellte ähnliche Fragen, wie im
vergangenen Jahr und wusste so einiges darüber, was Mine widerfahren
war. Die übliche Aufregung der letzten Jahre stellte sich bei dem
Kind allerdings nicht ein. Das verträumte Mädchen gab es nicht
mehr. Genau beäugte es den Weihnachtsmann und entdeckte einiges, was
an den Opa erinnerte. „Zweifeln hilft!“ schoss es Mine durch den
Kopf und sie ließ den Weihnachtsmann ziehen.
Dann ging es mit großer Spannung ans
Geschenke auspacken. Ein glückliches Kind hatte zu tun und freute
sich dann noch mehr, als plötzlich die Großeltern im Zimmer
standen. Die Familie verbrachte einen gemütlichen Abend, der viel zu
schnell verging. Als Oma und Opa sich auf den Heimweg machen wollten,
flüsterte Wilhelmine ihrem Opa beim Abschied ins Ohr: „Kannst du
nächstes Jahr bitte mal der Lichterpirat sein?“